Am Montag geht in Berlin wieder die Schule los. Aber nicht für alle Kinder. Denn obwohl im Berliner Schulgesetz das Recht auf Schulbesuch für alle Kinder festgeschrieben ist, wird die Anmeldung für Kinder ohne Aufenthaltsstatus praktisch häufig verhindert.
Um zu zeigen, wie aber durch praktische Solidarität und einfache Begleitung eine Anmeldung möglich wird, haben wir eine Person aus unserem Netzwerk interviewt:
Wie lange bist du schon bei Solidarity City Berlin aktiv?
Ich bin vor anderthalb Jahren zu Solidarity City Berlin gestoßen, so Mitte 2018.
Damals haben alle darauf gewartet, dass die Berliner Verwaltung endlich mal den Anonymisierten Krankenschein umsetzt.
Damals waren aber auch alle schon ziemlich müde von den langwierigen Verhandlungen mit dem Senat. Und kurz bevor ich dazukam, hatten ein paar Leute im Bündnis schon überlegt, sich mit dem Thema Bildung zu beschäftigen. Da hab ich mich dann eingeklinkt.
Warum engagierst du dich bei Solidarity City? Was ist deine Motivation?
Zum einen finde ich es wichtig, dass in einer Stadt alle möglichst gleichberechtigt leben können. In Städten kann so viel Kreativität, so viel Neues, so viel Unerwartetes entstehen. Aber eben nur dann, wenn alle die Stadt mitgestalten können. Wenn alle mitreden können. Wenn das nicht der Fall ist, dann haben wir ein Problem.
Und wenn Menschen, die hier leben – sei es seit gestern oder seit ein paar Jahrzehnten –, ihre allergrundsätzlichsten Bedürfnisse nicht befriedigen können, dann haben wir sogar ein gewaltiges Problem. Das spüren ja inzwischen auch genügend Menschen hier in Berlin. Warum sollten wir akzeptieren, dass Leute aus ihren Wohnungen herausgentrifiziert werden? Warum sollten wir akzeptieren, dass es jede Menge Menschen in Berlin gibt, die nicht zum Arzt gehen können? Warum sollten wir akzeptieren, dass Menschen Angst vor der Polizei haben (müssen), wenn sie ohne Papiere hier leben? Und warum sollten wir es akzeptieren, dass Kinder aus Angst oder wegen verbohrter Verwaltungen nicht in die Schule gehen? Genau. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür!
Vieles von dem, was ich grad aufgezählt hab’, betrifft ganz viele von uns in Berlin. Leute mit wenig Geld trifft es härter. Menschen, die keinen Aufenthaltsstatus hier bekommen können, nochmal krasser.
Das Schöne ist: das muss ja nicht so sein. Wir können eine Stadt gestalten, in der wir alle gut leben können. Eine gerechte Stadt, eine Stadt für Alle, eben eine Solidarische Stadt.
Was ist die Rechtslage für Schulzugang?
In Berlin gibt es das Schulbesuchsrecht, das eigentlich erstmal für alle Kinder gilt, auch unabhängig von deren Aufenthaltsstatus. Das ist ja auch ein Kinderrecht bzw. Menschenrecht. Soweit so klar.
Nur leider wurden bis 2011 Schulen dazu verpflichtet, Kinder ohne Aufenthaltsstatus zu melden.
Das hat praktisch dazu geführt, dass viele Kinder nicht zur Schule gehen konnten. Oder im schlimmsten Fall sogar abgeschoben wurden.
Diese Meldepflicht gibt es seit 2011 zwar nicht mehr. Aber es ist weiterhin erlaubt. Das heißt, es hängt von jeder einzelnen Schule, oder von jeder Rektorin oder jedem Lehrer ab. Und damit bleibt ein großes Risiko für Eltern und ihre Kinder. Da wäre es notwendig, wenn die Politik klar stellt, dass alle Kinder in die Schule dürfen. Und die Papiere zweitrangig sind.
Was macht Solidarity City Berlin?
Wir bestehen ja aus unterschiedlichen Gruppen, wie zum Beispiel die KuB und Respect Berlin. Manche bieten Beratung an. Andere versuchen, Öffentlichkeit für das Thema herzustellen und an die Politik zu appellieren. Manche begleiten auch illegalisierte Familien und sind einfach dabei bei den Behördengängen. Das hilft schon ungemein, weil die Sachbearbeiter*innen dann vielleicht eher merken, dass sie ordentlich und respektvoll arbeiten müssen.
Wer lebt in Berlin eigentlich ohne Aufenthaltsstatus?
Das sind ziemlich viele Menschen. Ich glaube, die Stadt schätzt so um die 50.000 Personen? Ich will mich da aber nicht festlegen. Die Zahl ist auch gar nicht so wichtig. Ton und Farbe bekommt das Ganze ja erst, wenn du Menschen kennen lernst, die in dieser Situation stecken. So wie María* und ihre Tochter Valentina*.
Du hast selbst auch Menschen begleitet?
Genau, eben die beiden. Sie kommen aus Bolivien** und leben inzwischen seit ungefähr einem Jahr hier. Beide sprechen Spanisch und da ich dank eines Austauschs in Mexiko recht gut Spanisch spreche, hat das gepasst. María versucht so schnell sie kann, Deutsch zu lernen und arbeitet viel. Valentina ist im Januar sieben geworden und musste eingeschult werden. Aber das war dann doch gar nicht so einfach.
Welche Reaktionen habt ihr bei der Anmeldung bekommen?
Das Ganze war echt auch für mich nicht easy. Meine Einschulung ist 20 Jahre her und ich selbst hatte vorher noch niemanden eingeschult. Die offiziellen Fristen auf den Webseiten waren sowieso alle schon vergangenen Herbst verstrichen. Also versuchte ich es erst mal über das zuständige Schulamt. Da kam ich leider nirgendwo durch. Weder telefonisch noch per Mail. Das war aussichtslos. Aber auf der Schulamtsseite gab es eine PDF, durch die ich herausgefunden habe, welche Schule zuständig war.
Dann bin ich da während der Unterrichtszeiten hingefahren und habe im Sekretariat angefragt, ob der Rektor Zeit für mich hätte. Es gehe um eine Einschulung. Ich musste kurz warten, aber schließlich hat er mich freundlich empfangen. Das Gespräch verlief zunächst problemfrei. Bis zu dem Punkt, wo ich sagte, dass das Kind keinen geregelten Aufenthaltsstatus besitzt und damit auch keine offizielle Meldebescheinigung. Da war es erst einmal vorbei. Ohne ginge es nicht und überhaupt und sowieso.
Ich blieb hartnäckig: “Das Kind ist siebeneinhalb Jahre alt, wohnt hier um die Ecke und muss diesen Herbst eingeschult werden. Das ist möglich und Sie sind dafür zuständig.” Daraufhin setzte sich der Rektor direkt mit dem Schulamt in Verbindung. Lustigerweise kam er direkt bei der Sachbearbeiterin raus, die ich mehrfach vergebens versucht hatte zu erreichen. Sie sagte ihm, dass er und seine Schule ganz eindeutig dafür zuständig seien. Und Punkt. Das nahm der Rektor so hin und wir machten einen Termin aus, an dem wir uns wieder treffen würden. Dann aber mit María und Valentina, um alles in die Wege zu leiten.
Zwei Wochen später. Das Treffen fand statt. María und ich waren nervös, aber der Rektor bemühte sich spürbar, Valentina ein bisschen kennenzulernen. Doch dann kamen wir wieder auf den Boden der bürokratischen Tatsachen zurück. Weder María noch Valentina hatten eine Krankenversicherung. Was ohne Aufenthaltsstatus ja auch nicht möglich ist. Und eigentlich für den Schulbesuch auch nicht notwendig.
Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass alle Kinder während der Schulzeit kollektiv unfallversichert sind. Der Rektor wusste das scheinbar auch nicht und bekam direkt wieder kalte Füße: Ohne Krankenversicherung könne er Valentina nicht einschulen. Das müssten wir möglichst bald klären. Gleichzeitig organisierte er postwendend einen Termin beim Schularzt, um alles zu beschleunigen. Das Treffen haben wir also mit gemischten Gefühlen verlassen.
Eine Woche später teilte mir María mit, der Rektor hätte mit dem Schulamt telefoniert, um sich rechtlich abzusichern. Dort hätte ihm die Rechtsabteilung gesagt, dass ohne Meldebescheinigung keine Einschulung möglich wäre. María traute sich nicht zu, mit dem Rektor auf Deutsch zu argumentieren. Da schien das Ganze wieder auf der Kiepe zu stehen.
Wir haben ausgemacht, dass ich wieder mit dem Rektor telefonieren sollte. Ich habe mich nicht wirklich darauf gefreut. Und anfangs kam ich auch gar nicht durch. Erst nach drei Tagen hat es dann geklappt. Der Rektor erzählte mir, dass die zuständige Person von der Rechtsabteilung noch einmal mit dem Senat in Kontakt getreten sei. Und vom Senat sei schließlich signalisiert worden, was die Rechtslage besagt: Schulbildung ist ein Recht. Eine Meldebescheinigung braucht es nicht. Und damit war Valentina dann eingeschult.
Es war also ein ganz schönes Hin- und Her über drei Ebenen, von denen ich zwei auch nur sehr schlecht bzw. gar nicht hätte erreichen können. Aber es hat funktioniert.
Wie können Menschen hier unterstützen? Was braucht es dafür?
Es hilft schon viel, wenn man einfach mitkommt. Klar ist es super, wenn man sich ein bisschen auskennt mit Recht und Verwaltung. Aber die relevanten Punkte passen eigentlich auf eine Karteikarte. Der entscheidende Satz, den ich während des ganzen Prozesses immer präsent hatte und positioniert habe war einfach: Das Kind muss in die Schule gehen. Anders herum würde ich sagen, hat mir die Begleitung von María und Valentina dabei geholfen, auch schwierige Diskussionen auszufechten. Und es war im Endeffekt auch ein gemeinsames Erfolgserlebnis.
*Namen geändert
**ebenfalls geändert