Solidarity City Berlin unterstützt die Forderung der Medibüros und Medinetze.
Lest hier die Pressemitteilung:
PRESSEMITTEILUNG VOM 14. APRIL 2020
ZUGANG ZU MEDIZINISCHER VERSORGUNG : FÜR ALLE – JETZT SOFORT – FÜR IMMER !
35 bundesweite Medibüros und Medinetze weisen auf die dramatische Versorgungssituation von
hunderttausenden Migrant*innen ohne Krankenversicherungsschutz in der Corona-Krise hin. In einem
offenen Brief an die gesundheitspolitischen Verantwortlichen ersuchen sie dringend um eine schnelle,
bundesweit einheitliche und nachhaltige Lösung. Die unterzeichnenden und unterstützenden Organisati-
onen mahnen an, dass der sichere und verlässliche Zugang zu gesundheitlicher Versorgung ein
Menschenrecht ist und ohne Einschränkungen gewährt werden muss.
Der offene Brief wurde am 13. April 2020 versendet an:
Bundesgesundheitsminister JENS SPAHN , Bundesminister für Arbeit und Soziales HUBERTUS HEIL, Bun-
desminister des Innern, für Bau und Heimat HORST SEEHOFER , die Vorsitzende der Gesundheitsminister-
konferenz 2020 DILEK KALAYCI , die TEILNEHMER*INNEN der Gesundheitsministerkonferenz 2020.
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Angesichts der Corona-Pandemie hat die WHO am 04.04.2020 Regierungen weltweit dazu aufgefor-
dert, Geflüchteten, Migrant*innen, Obdachlosen sowie Menschen ohne Krankenversicherung Zugang zu
Tests und Behandlung zu geben und finanzielle Barrieren abzubauen. Schon am 24.03.2020 haben ÄRZTE
DER WELT mit über 40 mitzeichnenden Organisationen in einem offenen Brief an den Corona-Krisenstab
der Bundesregierung ihre tiefe Besorgnis darüber ausgedrückt, dass Hunderttausende in Deutschland
keine Möglichkeit haben, sich testen und behandeln zu lassen oder in Quarantäne zu gehen. Illegalisier-
te Migrant*innen, die auf anonyme Diagnostik und Behandlung angewiesen sind, fürchten, dass ihre Da-
ten an die Ausländerbehörden übermittelt (§ 87 AufenthG) und sie abgeschoben werden. Andere
schrecken vor hohen Behandlungskosten zurück und vermeiden Arztbesuche, Untersuchungen oder
Tests. Auch zu verlässlichen Informationen in ihrer Sprache über das Coronavirus und die Lungenkrank-
heit Covid-19 haben viele Menschen keinen Zugang. Sie sind von der Pandemie besonders bedroht.
Trotz lokaler, bundesweiter und internationaler Vorstöße, Empfehlungen und breiter medialer Berichter-
stattung sind in Deutschland bis heute weder Kostenübernahme, Zuständigkeit noch Verfahrensweise
für unversicherte Menschen verbindlich geregelt. Das ist grob fahrlässig.
Die Corona-Krise zwingt außerdem zivilgesellschaftliche, oft ehrenamtlich getragene Einrichtungen für
Menschen ohne Krankenversicherung, wegen des hohen Ansteckungsrisikos und fehlender Schutzvorkeh-
rungen ihre Sprechstunden zu reduzieren oder gar auszusetzen. Menschen mit chronischer oder akuter
Erkrankung bleiben schlichtweg unversorgt. Das hat verheerende gesundheitliche Folgen.
Die dramatischen Zustände sprechen unmissverständlich für eine schnelle, bundesweit einheitliche
und nachhaltige Lösung!
Wir fordern:
1. die sofortige, ausnahmslose und dauerhafte Eingliederung von allen unversicherten Menschen
in das reguläre, gesetzliche Krankenversicherungssystem unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
2. die vollständige Abschaffung der Übermittlungspflicht nach § 87 AufenthG.
Auch wenn provisorische Lösungen in der Krise naheliegend scheinen: Der derzeitige Ausnahmezustand
akzentuiert nur die Probleme des Normalzustands. Dieser war schon ‚vor Corona’ mangelhaft – und
muss dringend an menschenrechtlich bindende Standards angepasst werden. Die Pandemie spitzt tag-
tägliche Ausgrenzung sowie Entrechtung zu und macht die strukturellen Defizite von bestehenden
medizinischen Parallelsystemen sichtbar.
In Deutschland leben hunderttausende illegalisierte Migrant*innen sowie EU-Bürger*innen, die aus der
medizinischen Regelversorgung ausgeschlossen sind. Die fatale Konsequenz: Krankheiten werden nicht
rechtzeitig erkannt oder behandelt, chronifizieren, verlaufen schwer, enden tödlich. Seit Jahren versuchen
ehrenamtliche Initiativen wie die Medibüros und Medinetze, eine Versorgung über freiwillige Ärzt*innen
zu organisieren, um das Schlimmste zu verhindern. In den letzten Jahren sind auf lokaler Ebene temporä-
re Projekte einer Clearingstelle und/oder eines „Anonymisierten Krankenscheins“ erkämpft worden.
Weitere Städte und Bundesländer bemühen sich aktuell darum. Diese Schritte sind zu unterstützen, da
sie die Situation zumindest vergleichsweise verbessern.
Doch befristete, lokale Projekte oder ehrenamtliche Unterstützung lösen die Probleme nur
notdürftig. Sie etablieren lückenhafte Parallelsysteme. Die finanziellen und personellen Ressourcen sind
begrenzt und unbeständig. Projekte zur Vergabe „Anonymisierter Krankenscheine“ sind organisatorisch
aufwendig und gegebenenfalls kostenintensiv. Ehrenamtliche Initiativen wiederum hängen von Spenden-
geldern, der Zeit und der Motivation von Freiwilligen ab. In beiden Fällen haben Betroffene anders als
gesetzlich Versicherte keinen zuverlässigen und sicheren Zugang zum Gesundheitssystem – und damit
zu medizinischer Versorgung.
Dieser Zugang aber muss allen Menschen, die in Deutschland leben, offenstehen: uneingeschränkt und
langfristig. Daher fordern wir die gesundheitspolitisch Verantwortlichen dringend auf: Geben Sie mit der
Eingliederung in das medizinische Regelsystem unabhängig vom Aufenthaltsstatus sowie mit der Ab-
schaffung von § 87 endlich eine Garantie auf dieses Menschenrecht!
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Der offene Brief ist gezeichnet von den Medibüros und Medinetzen Berlin, Bielefeld, Bochum, Bonn,
Bremen, Chemnitz, Dortmund, Dresden, Düsseldorf, Erlangen, Freiburg, Gießen, Göttingen, Halle,
Hamburg, Hannover, Jena, Karlsruhe, Kiel, Köln, Leipzig, Lübeck, Magdeburg, Mainz, Marburg,
Nürnberg/Fürth, Oldenburg, Paderborn, Plauen, Rhein-Neckar, Rostock, Solingen, Tübingen, Würzburg.
KONTAKT: info@medibuero.de
DIE FORDERUNGEN WERDEN UNTERSTÜTZT VON :
• Ärzte der Welt e.V.
• Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.)
• Bundeszahnärztekammer (BZÄK)
• Café 104 München
• Deutsche Aidshilfe e.V.
• Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e.V.
• Flüchtlingsrat Berlin e.V.
• Flüchtlingsrat Brandenburg e.V.
• Flüchtlingsrat Bremen e.V.
• Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.
• Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz e.V. | Arbeitskreis Asyl
• Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
• Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
• Kritische Mediziner*innen Freiburg der Fachschaft Medizin (Ofamed)
• Poliklinik Veddel e.V.
• Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
• Solidarity City Berlin
• Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää)
• Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP)
• Women in Exile e.V.