Erklä­rung von Respect Ber­lin zur neu­en Clea­ring­stel­le

Für einen gleich­be­rech­ti­gen Zugang zu Gesund­heits­ver­sor­gung für Men­schen ohne Papie­re in Ber­lin
Erklä­rung der respect-Initia­ti­ve Ber­lin

Seit fast 20 Jah­ren kämp­fen wir in der respect-Initi­ta­ti­ve Ber­lin für die Rech­te und für bes­se­re Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen von Frau­en ohne Auf­ent­halts­sta­tus. In ver­schie­de­nen Bünd­nis­sen und poli­ti­schen Kam­pa­gnen haben wir uns immer wie­der für das Recht auf einen gleich­be­rech­tig­ten Zugang zu Gesund­heits­ver­sor­gung für ille­ga­li­sier­te Men­schen ein­ge­setzt. Dass in der Ber­li­ner Senats­po­li­tik jetzt etwas in Bewe­gung gekom­men ist und es das Pro­jekt gibt, einen Zugang zu Gesund­heits­ver­sor­gung für Nicht­ver­si­cher­te in Ber­lin zu eta­blie­ren, sehen wir als Erfolg die­ser Kämp­fe an. Ohne all die Bünd­nis­se und Kam­pa­gnen der Ver­gan­gen­heit und ohne die all­täg­li­che gegen­sei­ti­ge Soli­da­ri­tät und Unter­stüt­zung – mit der Arbeit des „Medi­bü­ros“ im Zen­trum des Gesche­hens – wäre die­se Öff­nung in der Senats­po­li­tik nicht zustan­de gekom­men.

Seit 2015 sind wir als respect-Initia­ti­ve Teil des Netz­werks Soli­da­ri­ty City Ber­lin und enga­gie­ren uns auch hier für einen Zugang zu Gesund­heits­ver­sor­gung für ille­ga­li­sier­te Men­schen in Ber­lin. In Soli­da­ri­ty City Ber­lin dis­ku­tier­ten wir gemein­sam unse­re For­de­run­gen und brach­ten uns in die Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen der aktu­el­len Ber­li­ner Regie­rung ein. Wir for­der­ten ers­tens eine anony­mi­sier­te Gesund­heits­kar­te für undo­ku­men­tier­te Berliner_innen als Gleich­stel­lung mit den Asylbewerber_innen, die in Ber­lin seit kur­zem eine Gesund­heits­kar­te erhal­ten, und zwei­tens die Abschaf­fung der Beschrän­kun­gen der Gesund­heits­ver­sor­gung im Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz.
Erst kürz­lich haben wir erfah­ren, wie sich die Kon­zept­dis­kus­si­on für eine Clea­ring­stel­le inzwi­schen ohne die Betei­li­gung von Soli­da­ri­ty City Ber­lin inner­halb des Senats wei­ter­ent­wi­ckelt hat – und wir sind ent­setzt dar­über, wel­che Pro­ze­de­re dort dis­ku­tiert wer­den.
Wir for­dern des­we­gen, dass fol­gen­de Min­dest­stan­dards berück­sich­tigt wer­den, um die Gesund­heits­ver­sor­gung für Men­schen ohne Auf­ent­halts­sta­tus in Ber­lin zu garan­tie­ren:

1. Vie­le Men­schen ohne Auf­ent­halts­sta­tus in Ber­lin leben unter extrem pre­kä­ren gesund­heits­be­las­ten­den Bedin­gun­gen: wegen der har­ten Arbeit in den Haus­hal­ten, den Fami­li­en, den WGs, Büros und Restau­rants die­ser Stadt, wo wir bzw. sie put­zen, Kin­der betreu­en oder kochen; wegen der per­ma­nen­ten Angst vor Poli­zei­kon­trol­len und Abschie­bung; wegen des man­geln­den Zugangs zu vie­len grund­le­gen­den sozia­len Rech­ten. Wir/sie spre­chen vie­le unter­schied­li­che Spra­chen und haben viel­fäl­ti­ge Bedürf­nis­se der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung. Aus all die­sen Grün­den brau­chen wir/sie drin­gend das Recht, Ärzt_innen und Kran­ken­häu­ser frei wäh­len zu kön­nen, wie es ande­ren Men­schen in der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung erlaubt ist. Nur so kann es mög­lich gemacht wer­den, dass wir uns/sie sich ange­mes­sen ver­ständ­lich machen kön­nen, ange­mes­sen bera­ten wer­den und dass wir/sie eine medi­zi­ni­sche Behand­lung ohne Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­rung erhal­ten.

2. Wir möch­ten kei­ne Medi­zin zwei­ter Klas­se und pro­tes­tie­ren dage­gen, dass die Dienst­leis­tun­gen von den Kran­ken­häu­sern und Ärzt_innen für ille­ga­li­sier­te Men­schen anschei­nend schlech­ter bezahlt wer­den sol­len als in der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung. Ers­tens erscheint uns absurd, dass in der Clea­ring­stel­le bereits eine Kos­ten­kal­ku­la­ti­on für die medi­zi­ni­sche Behand­lung gemacht wer­den soll, bevor bei den Ärzt_innen, die die Patient_innen anschlie­ßend besu­chen, oder in den Kran­ken­häu­sern über­haupt erst genaue­re Dia­gno­sen gemacht und über Behand­lun­gen ent­schie­den wer­den kann. Zwei­tens fin­den wir es sehr pro­ble­ma­tisch, dass nur ein „ein­fa­cher Satz“ bezahlt wer­den soll, wäh­rend für gesetz­lich Kran­ken­ver­si­cher­te mehr bezahlt wird. Bei­des kann nur dazu füh­ren, dass Ärzt_innen und Kran­ken­häu­ser gar nicht, mit weni­ger Zeit­auf­wand oder qua­li­ta­tiv schlech­ter behan­deln wer­den. So ent­steht ein Instru­ment wei­te­rer Dis­kri­mi­nie­rung bzw. eine Medi­zin für die Armen.

3. Wir wol­len eine Vor­ge­hens­wei­se, die die per­sön­li­chen Daten der undo­ku­men­tier­ten Men­schen so auf­nimmt, wie die­se selbst es ent­schei­den und wie es in ihrem Inter­es­se ist. Die Patient_innen sol­len selbst ent­schei­den kön­nen, ob sie ihre tat­säch­li­chen Namen und wei­te­re Daten ange­ben, oder ob sie aus­schließ­lich Pseud­ony­me ange­ben. Um dies ent­schei­den zu kön­nen, müs­sen sie aus­führ­lich dar­über infor­miert wer­den, inwie­fern und wie der Schutz ihrer Daten garan­tiert wird und wel­che Risi­ken es auch lang­fris­tig geben kann, wenn sie ihre Daten der Clea­ring­stel­le über­las­sen. Auf jeden Fall for­dern wir maxi­ma­le Bemü­hun­gen, um den Schutz die­ser extrem sen­si­blen Daten zu garan­tie­ren.

Wir sind soli­da­risch mit allen Men­schen in Ber­lin, die kei­nen Zugang zu Gesund­heits­ver­sor­gung haben!
Wir for­dern, dass die genann­ten Kri­te­ri­en in der neu­en Clea­ring­stel­le umge­setzt wer­den, damit sich die gesund­heit­li­che Situa­ti­on der Berliner_innen ohne Papie­re end­lich ver­bes­sern kann!
respect-Initia­ti­ve Ber­lin (www.respectberlin.org),
Ber­lin, 10.10.2018