16.09.2017: Auf­ruf zu We’ll come united

Krie­ge, Hun­ger, Natur­ka­ta­stro­phen, Ter­ror, wenig Aus­sicht auf ein bes­se­res Leben für sich und ihre Kin­der: Viel­fäl­ti­ge Grün­de zwin­gen jeden Tag Men­schen auf der gan­zen Welt zur Flucht aus ihren Hei­mat­län­dern. Die mör­de­ri­sche Abschot­tungs­po­li­tik der Indus­trie­na­tio­nen treibt sie auf unsi­che­re Rou­ten; dort­hin zu gelan­gen, wo das Recht auf Asyl wahr­ge­nom­men wer­den kann, ist oft nur unter größ­ten Gefah­ren mög­lich.

Doch auch die­je­ni­gen, die in Deutsch­land ankom­men, haben wenig Chan­cen auf eine gleich­be­rech­tig­te Teil­ha­be am hie­si­gen Leben. Neben Pro­ble­men mit den Aus­län­der­be­hör­den, all­täg­li­chem Ras­sis­mus und der Bedro­hung durch Faschist*innen behin­dern Geset­ze den Zugang zu loka­ler öffent­li­cher Infra­struk­tur. Aus Angst vor einer Abschie­bung schre­cken vie­le Geflüch­te­te ohne lega­len Sta­tus zum Bei­spiel davor zurück, ihr Kind an einer Schu­le anzu­mel­den – immer wie­der kommt es vor, dass Schu­len sol­che Fäl­le direkt der Aus­län­der­be­hör­de mel­den, obwohl sie dazu recht­lich aus­drück­lich nicht ver­pflich­tet sind. Der Zugang zu Schul­bil­dung, selbst auf Grund­schul­ni­veau, ist somit kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Pre­kä­re Auf­ent­halts­ti­tel erschwe­ren das Ein­for­dern basa­ler Arbeits­rech­te und öff­nen Tor und Tür für ver­schie­dens­te For­men der Aus­beu­tung in infor­mel­len Sek­to­ren der Wirt­schaft. Wer krank ist, kann nicht selbst­ver­ständ­lich zum Arzt oder ins Kran­ken­haus gehen: Je nach Sta­tus beschränkt sich die Behand­lung auf Akut­fäl­le oder ist gar nicht mög­lich, es sei denn, Ärz­tIn­nen oder zivil­ge­sell­schaft­li­che Ein­rich­tun­gen ver­su­chen ehren­amt­lich, die­se Unter­ver­sor­gung aus­zu­glei­chen. Auf dem Woh­nungs­markt wer­den Men­schen mit «undeut­schem» Namen oder Aus­se­hen dis­kri­mi­niert, Men­schen im Asyl­ver­fah­ren kön­nen ihren Wohn­ort nicht selbst wäh­len und kei­ne Miet­ver­trä­ge abschlie­ßen.

Das Kind zur Schu­le schi­cken, sich gegen die Ver­let­zung des Arbeits­ver­trags durch den neu­en Chef weh­ren, die chro­ni­sche Man­del­ent­zün­dung ärzt­lich behan­deln las­sen oder in die Stadt zu zie­hen, in der man leben möch­te: Was für Men­schen mit deut­scher Staats­bür­ger­schaft völ­lig selbst­ver­ständ­lich ist, bleibt ihren geflüch­te­ten Nachbar*innen ver­wehrt.

Von Anfang an waren die­se mas­si­ven Behin­de­run­gen von Flücht­lin­gen im all­täg­li­chen Leben poli­tisch gewollt: «Die Busch­trom­meln wer­den in Afri­ka signa­li­sie­ren – kommt nicht nach Baden-Würt­tem­berg, dort müsst ihr ins Lager», erklär­te der dama­li­ge Minis­ter­prä­si­dent Lothar Späth (CDU) in sel­ten frei­mü­ti­gem Ras­sis­mus, als 1982 in Baden-Würt­tem­berg das ers­te Sam­mel­la­ger für Flücht­lin­ge ein­ge­rich­tet wur­de. Die ver­wei­ger­ten sozia­len Rech­te sind somit Bestand­teil der deut­schen und euro­päi­schen Abschot­tungs­po­li­tik.

Die­ser ras­sis­ti­schen und men­schen­feind­li­chen Poli­tik set­zen wir etwas ent­ge­gen: Wir for­dern eine soli­da­ri­sche Stadt, in der alle gleich­be­rech­tigt öffent­li­che Infra­struk­tur nut­zen und sich frei bewe­gen kön­nen, in der nie­mand Angst haben muss, kon­trol­liert, ein­ge­sperrt oder abge­scho­ben zu wer­den. Mit unse­rem Kampf für Gleich­be­rech­ti­gung fan­gen wir damit an den Orten an, an denen wir selbst leben. Men­schen mit und ohne Flucht­er­fah­rung, mit und ohne lega­len Auf­ent­halts­sta­tus set­zen sich in unse­ren Bünd­nis­sen dafür ein, dass alle, die hier leben, die glei­chen Rech­te wahr­neh­men kön­nen. Wir sind eine wach­sen­de Bewe­gung: In Ham­burg, Bre­men, Han­no­ver, Göt­tin­gen, Osna­brück, Ber­lin, Leip­zig, Müns­ter, Köln, Frank­furt, Hanau, Darm­stadt, Frei­burg und Mün­chen haben sich in letz­ter Zeit Initia­ti­ven gegrün­det, die ihre Städ­te zu soli­da­ri­schen Städ­ten machen wol­len, in der alle Kin­der zur Schu­le, alle Men­schen zum Arzt gehen kön­nen.

Am 16. Sep­tem­ber wer­den sich in Ber­lin die­je­ni­gen tref­fen, die nicht damit ein­ver­stan­den sind, dass Men­schen als Men­schen zwei­ter Klas­se behan­delt wer­den, weil sie am «fal­schen» Ort gebo­ren sind und nach Deutsch­land flie­hen muss­ten: ver­eint, in einer bun­ten und lau­ten Para­de. Auch die Initia­ti­ven für eine soli­da­ri­sche Stadt wer­den dabei sein, und wir wer­den eine kla­re Bot­schaft mit­brin­gen: Alle, die hier sind, sind von hier! Wir alle haben ein Recht auf Gesund­heit und Bil­dung, auf Arbeits­schutz und Woh­nun­gen! Unse­re Städ­te sind Orte der Soli­da­ri­tät, nicht der Aus­gren­zung und Spal­tung, und zusam­men wer­den wir sie zu einem Zuhau­se für uns alle machen. Oder mit den Wor­ten des Bür­ger­meis­ters von Paler­mo, Leo­lu­ca Orlan­do: „Wenn Sie fra­gen, wie vie­le Flücht­lin­ge in Paler­mo leben, ant­wor­te ich nicht: 60 000 oder 100 000. Son­dern: kei­ne. Wer nach Paler­mo kommt, ist ein Palermita­ner. Die Char­ta von Paler­mo, die ich 2015 ver­fasst habe, hält das fest. Tut mir leid für Sie, Sie sind jetzt auch eine Palermita­ne­rin. Sie sind aber frei, weg­zu­ge­hen und nicht mehr Palermita­ne­rin zu sein.“