Neues Deutschland, 02.02.2019
Solidarität als Feigenblatt
Berlin ist jetzt »Solidarity City«. Was bedeutet das abseits von Symbolpolitik?
Marie Frank
Angst vor der Anmeldung: Wie das Recht auf Bildung praktisch untergraben wird
Das Recht auf Bildung ist auf unterschiedlichsten Gesetzesebenen verankert, aber nicht in der deutschen Realität. Gerade für Kinder ohne legalen Aufenthaltsstatus sind die Hindernisse an Berliner Schulen zahlreich und vielfältig. Das muss sich ändern.
Solidarity City Berlin
„Einfach nicht nach Papieren fragen“
Berlin will im europäischen Netzwerk Solidarische Städte mitwirken. Die Ankündigung reicht nicht, sagt Antje Dieterich vom Netzwerk Solidarity City Berlin.
Interview von Erik Peter
»Wir bauen Druck auf«
Das Bündnis Solidarity City wurde in Berlin 2015 gegründet. In den USA, Kanada, Großbritannien, Italien und Spanien setzt sich das Netzwerk für die Rechte von Geflüchteten und Menschen ohne Papiere ein. Zentrale Themen sind Wohnraum, Gesundheitsversorgung und der Zugang zum Arbeitsmarkt. Mit Jungwirth sprach die »Jungle World« über die Herkunft des städtischen Unterstützungskonzeptes, die Unterschiede zu den USA und über die Entwicklung der Seebrücken-Kampagne.
Interview von Arved Clute-Simon
Ein sicherer Hafen
Immer mehr Städte widersprechen der europäischen Abschottungspolitik. Auch Berlin will ein Zufluchtsort für Geflüchtete sein – und ihre Rechte stärken.
Erik Peter
Kann Berlin eine Hafenstadt sein? Ein sicherer Ort für Geflüchtete ohne Angst vor Abschiebungen? Ein Ort, an dem auch Menschen ohne offizielle Papiere das Recht auf Gesundheitsversorgung, Bildung, Arbeit und Wohnen haben? Es ist ein spannender Gedanke: Eine Stadt – oder ein Verbund aus Städten und Gemeinden – stellt sich gegen die nationale und europäische Abschottungspolitik und hisst die Fahne der Humanität.
Keine Angst mehr vorm Arztbesuch
Menschen ohne Papiere trauen sich oft nicht zum Arzt. Seit Jahren fordern Initiativen deswegen die Einführung des anonymen Krankenscheins – jetzt soll er wirklich kommen
Malene Gürgen
Wer krank wird in Deutschland, geht zum Arzt: Was wie eine Binsenweisheit klingt, stimmt für viele Menschen nicht. Denn wer ohne Aufenthaltsstatus hier lebt, hat zwar Anspruch auf grundlegende medizinische Leistungen, doch um diesen wahrnehmen zu können, braucht es einen Krankenschein, den die Sozialämter ausstellen – und diese sind gesetzlich verpflichtet, die Daten an die Ausländerbehörde weiterzuleiten. Aus Angst, registriert und abgeschoben zu werden, kommt der Arztbesuch deswegen für viele Illegalisierte nicht infrage.
Recht auf Stadt für Refugees
Bundesweit versuchen Solidarity-City-Initiativen die Politik der Städte der Realität der Migration anzupassen
Michel Jungwirth, Carolin Wiedemann
In Berlin wurde es eine Woche vor der Bundestagswahl noch einmal unübersehbar: Trotz unzähliger Asylrechtsverschärfungen, trotz des wachsenden Erfolgs der AfD und der allgegenwärtigen Problematisierung von Migration fordert die Geflüchtetenbewegung immer noch lautstark ihre Rechte ein. An die 8.000 Menschen, mehr als die Hälfte selbst Geflüchtete aus allen Teilen Deutschlands, kamen zusammen und setzten mit einem Karneval ein Zeichen. »We’ll come United«, lautete das Motto, und: »Welcome United«. Hier zeigte sich auch, dass der Kreis der Aktivist_innen, die den Kampf der Geflüchteten unterstützen, seit dem ersten großen Refugee-Protestmarsch 2012 gewachsen ist. Ein Teil derjenigen, die vor zwei Jahren vielleicht tatsächlich eine Art »Willkommenskultur« etablieren wollten, gibt nicht mehr nur Deutschkurse und verteilt Kleidung. Stattdessen will dieser Teil der »Unterstützerszene« gemeinsam mit denen, die von der Entrechtung als Geflüchtete betroffen sind, eine Perspektive erarbeiten für deren weitere Teilhabe an Ort und Stelle, in den Städten, in denen sie leben.
Der anonyme Krankenschein kommt
Berliner Senat will ab 2018 jährlich 700.000 Euro für die Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung zur Verfügung stehen
Nicolas Šustr
Der anonyme Krankenschein soll nun auch in Berlin eingeführt werden. Je 700.000 Euro pro Jahr hat Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) dafür im Entwurf für den Doppelhaushalt 2018/2019 eingestellt, der sich momentan in der parlamentarischen Beratung befindet.
Die Möglichkeit der Übernahme von medizinischen Behandlungskosten ohne die Erhebung von persönlichen Daten soll es Menschen ohne legalem Aufenthalt ermöglichen, Leistungen des regulären Gesundheitssystems in Anspruch zu nehmen. Geplant ist, einen freien Träger als Clearingstelle zu beauftragen. »Diese versucht, Menschen mit bestehendem Leistungsanspruch in die Krankenversicherung zu vermitteln«, erklärt Christoph Lang, Sprecher der Gesundheitsverwaltung, auf »nd«-Anfrage. Juristen und Sozialarbeiter sollen die Beratung übernehmen. Sollte die Prüfung negativ ausfallen, kann ein anonymer Krankenschein ausgegeben werden.
Krankenschein für Papierlose: Legal krank
Nach Niedersachsen will auch Berlin den anonymen Krankenschein einführen und damit die Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere erleichtern.
Malene Gürgen
Die Liste der Punkte, über die der Gesundheitsausschuss in seiner Sitzung an diesem Montag berät, ist lang, schließlich soll der Plan für den kommenden Doppelhaushalt aufgestellt werden. Doch darunter versteckt sich eine kleine Revolution: Als zweites Bundesland will Berlin den anonymen Krankenschein einführen und damit die Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere erheblich erleichtern.